Texte Haupt- und Sonderpreis

Hauptpreis Epik - Linda Schucknecht


Lügenwelt und Wahrheitsfunke

 

Okay, okay… ich gebe es zu. Die Unterschrift unter der letzten verpatzten Mathearbeit war zu viel. Dieser eine Strich hat’s ver- saut. Und das „L“ habe ich auch nicht so wie meine Eltern hinbe- kommen. Insgesamt war diese Unterschrift wirklich kein Meister- werk. Da hatte ich schon bessere. Und deswegen sitze ich jetzt auf dem unbequemen Stuhl, der von den ganzen Regelbrechern, die auch hier sitzen mussten, schon ganz platt gesessen ist. Ich sitze hier, weil ich die ach so heiligen Regeln verletzt habe. Schande über mich:


Aber jetzt mal ernsthaft: Es gibt wahrlich schönere Beschäftigun- gen als an einem freien Nachmittag auf dem Rebellen-Stuhl zu sit- zen und vom Direktor der Schule mit einem halb mitleidigen, halb wütenden Gesichtsausdruck angestarrt zu werden. Dieses Mitleidige in seinem Blick stört mich am meisten. Das brauche ich garantiert nicht! Deshalb lege ich provokant meine Füße auf den Tisch, der vor mir steht. Mit einem Schnauben schiebt der Direktor meine Füße vom Tisch und sie fallen zurück auf den Boden: Weg ist der mitlei- dige Ausdruck in seinen Augen.


„Das Fälschen von Unterschriften ist eine ernste Sache, meine Dame!“, fängt er mit seiner Moralpredigt an. Und jetzt kommt wieder die alte Ansprache, die er bestimmt schon auswendig kann und in der er immer wieder das Gleiche sagt: Er ist schrecklich ent- täuscht. Das kann so nicht weitergehen. Er wird das nicht weiter tolerieren… und so weiter. Oh, wartet! Jetzt wird es spannend! Das ist der einzige Teil, der variiert: Die Strafe. Er hat die Wahl zwischen Hausordnung abschreiben lassen, Tische putzen, dem Haus- meister helfen und schriftlichen Verweisen auf geduldigem Papier. Mal schauen, wofür er sich entscheidet. „… ich mache mir Sorgen um deine weitere schulische Laufbahn. Vielleicht ist es besser, wenn du woanders noch einmal deinen eingeschlagenen Weg überdenken könntest. Ich habe über eine Versetzung an eine andere Schule nachgedacht. Ich würde das auch gern mit deinen Eltern bespre- chen.“ Ouh… Das kam jetzt unerwartet. Weder Hausordnung, noch Tische, noch Hausmeister, sondern ein freundlich formulierter Schul- verweis?! Ein Gespräch mit meinen Eltern?! Stumm starre ich ihn an. Er starrt zurück. Da er keine Anstalten mehr macht, irgendetwas zu sagen, stehe ich auf, schnappe mir wütend meine Tasche und     verlasse die Schule.


Verdammt! Die Strafen an unserer Schule sind sonst so luschig, da hätte ich nicht mit einem Schulverweis gerechnet…:  Und alles nur wegen einer gefälschten Unterschrift? Bedeutungslos. Meinen Eltern habe ich schon länger Lügen über meine Noten aufgetischt. Ich habe ihnen versichert, sie müssten nicht unterschreiben und das war ihnen auch recht Sie haben andere Sorgen, müssen immerfort unend- lich wichtige Telefonate führen und sich um ihr gemeinsames Unter- nehmen kümmern. Wenn jetzt die Lügen rauskommen, werden sie mir die Hölle heiß machen. Ich kann ihre Vorwürfe schon hören und ihre enttäuschten Gesichter schon sehen. „Wie konntest du nur?“ Plötzlich hupt direkt neben mir ein Auto. Ich springe zur Seite.

Mein Puls rast und ich schaue mich um: Jetzt erst begreife ich, dass ich bei Rot über eine Hauptstraße gelaufen bin, vollkommen in unangenehme nagende Bauchschmerzgedanken vertieft. Verdammt! Ges- tern war doch alles noch in Ordnung! Und nun droht meine eigene kleine Wohlfühllügenwelt einzustürzen: Wolkenkratzer aus nie wahr- gemachten Versprechen, Brücken aus Halbwahrheiten und Straßen aus Erfundenem bröckeln und beginnen sich aufzulösen. Dabei schien doch alles perfekt, allen Ansprüchen genügend. Und nun brauchte es nur einen kleinen Funken Wahrheit und schon sieht man die Stadt lichterloh brennen. Die mühsam aufgebaute Scheinwelt wird in einem Wimpernschlag vernichtet. Übrig bleibt nur die kalte Asche der nackten Wahrheit. Das miese Gefühl, vorgeführt zu werden. Dabei war mir eigentlich immer klar, dass es vielleicht Lügen gibt, die länger verborgen bleiben als andere, aber irgendwann müssen sie sich alle der Wahrheit beugen. Meine Lügen wurden endlich.

Ich schaue mich um. Ich kann schon unser Haus sehen. Viel zu groß für drei Personen. Auch von innen erinnert es mehr an ein Hotel als ein gemütliches Heim in dem eine Familie gemeinsam lebt  und lacht.

Der Schlüssel klimpert in meiner Jackentasche. Sonst ist es still.   Nicht ein Geräusch. Meine Eltern verlassen sich auf mich. Ich bin selbstständig und verantwortungsvoll. Das gibt ihnen die Möglichkeit, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Ich habe keine Ahnung, wann wir das letzte Mal einen Ausflug gemacht oder auch nur ein richtiges Gespräch geführt haben. Die bekannte bedrückende Stille und nur meine Gedanken freuen sich. Prima, sie können sich jetzt so richtig austoben und ich habe keine Chance, ihnen nicht zu zuhören. Was hat mir das Lügen eigentlich gebracht?


Für den Moment waren die Lügen meine Wahrheit. Sie haben meine Fehler vertuscht. Sie haben mich beschützt vor harten mahnenden          Worten meiner Eltern. Jetzt werden diese sich natürlich wieder einmal tierisch aufregen und von Vertrauensbruch reden. Die Fälschung der Unterschrift werden sie persönlich nehmen und sie als  Angriff auf sich selbst werten. Ihr vorgetäuschtes und oberfläch liches Interesse an meinem Leben wird nicht das Thema sein, son- dern meine Fehler werden am Pranger stehen.

Jeder Mensch macht doch Fehler und Lügen gaukeln vor, dass man ma kellos, perfekt ist. Perfektionismus wird von mir erwartet. Es ist der Anspruch meiner Eltern. Ihnen gegenüber will ich keine Schwächen zeigen. Ich habe Angst vor ihren Vorwürfen und ihrer Kritik. Die Lügen sind zu Freunden geworden. Sie sind Selbstschutz und Stressvermeidung. Lügen als bequeme Verdrängung. Unentdeckt hatten  meine Lügen keine Konsequenzen. Ich will gefallen.


Manchmal versuchen wir einfache Wege zu gehen und unsere eigenen Lügen zu glauben. In dem Moment, in dem wir uns eine Lüge überlegen, haben wir über die Wahrheit nachgedacht und trotzdem entschieden, dass wir sie, um nicht schwach zu wirken, lieber freier auslegen, sie verbiegen. Mit Lügen kann man sein, wer man will und  wie man will. Lügen geben ein Gefühl der Kontrolle, das man gern bewahrt.

Aber langsam dämmert es mir: Wer lügt, belügt vor allem sich selbst.

Ich schmeiße mich in mein Bett und mache die Augen zu, bis ich  meine Eltern höre...


Hauptpreis Lyrik - Vanessa Schreiter


Eine wahre Geschichte


Im April ich vor meiner Haustür stand,

lächelnd, den Pokal in der Hand.

Doch war dies wirklich ein Grund zur Freud' -

Wohl eher der Beginn einer düsteren Zeit!

Denn es ist das 1. Mal Intervallfasten gewesen,

von dem ich in einer Zeitung gelesen.

Seitdem erzählte ich vom Frühstück nur,

hinter Schulaufgaben verbarg ich meine Fastenkur.

Leugnete mir selbst meinen Hunger und dann,

kam’s, dass ich ihn wirklich nicht mehr fand.

Log auch meiner Familie ins Gesicht,

dabei war die Ehrlichkeit zuvor meine Pflicht.

Doch der Wunsch, zu hungern, war nun einmal,

größer, stärker- und das Essen eine Qual.

 

Unverschämt zu sagen: „Es hat geschmeckt,

dabei hab ich es nur versteckt.

Verstand mich auch, mit Wegschütten zu tricksen,

fühlte mich wie eine Hexe, die tät Zutaten mixen.

Begann das Schulbrot im Spind zu horten,

aus 16 Stunden war’n 2 Tage geworden.

Ich redete mir ein, ich hätte trotzdem Kraft,

dabei hab ich alles nur noch mit Mühe geschafft.

Längst war’s meiner Sinne Raub,

meine Beine krampften, mein Kopf war taub.

Nur wollte ich es mir nicht eingestehn,

dafür fand ich das Fasten schon viel zu schön.

 

'Nen halben Tag später kam Vater heim,

ich wollt eigentlich schon längst im Bett sein,

nur hatte er mich schon gesehen

und hieß mich, auf die Waage zu gehen.


35,5 zeigte sie an,

da ward klar, dass ich nichts gegessen haben kann.

Dass meine „Essensgeschichten“ nur Märchen war'n.

Und als Vater mein Tagebuch gelesen, ist dies Anhaltspunkt gewesen,

mich in derselben Nacht in die Klinik zu fahr'n.

 

Das Essen war stets schwer und - verflixt,

hab ich auch dort noch weiter getrickst.

Doch wollte ich mir den Rest meines Lebens verderben,

und zu riskieren, jetzt schon zu sterben?

Wär es mir wirklich egal, was and're würden denken,

tät ich das Glück meiner Jugend verschenken?-

Ich dachte daran, wie sie mich vermisst,

hätt' ich den Hungertod geküsst.

Da fing ich an, wieder zu essen,

und das Fasten zu vergessen.

 

So konnte ich bald schon heim,

dort ließ ich gleich das Hungern sein.

Sagte voll Reue: „Hab euch alle belogen!",

sie antworteten: „Eigentlich hast du nur dich selbst betrogen!"

Dennoch war's schwer, das Vertrauen

zu allen wieder aufzubauen.

 

Nun weiß ich, dass man so etwas erst mit den Eltern bespricht,

und dass jede noch so gute Lüge einmal kommt ans Licht.



Sonderpreis Mundart - Vanessa Schreiter


Nutliegn


Dor Karle fand 'ne gunge Mad,

die ihm gar racht gefalle dod.

Mit blonden Haar un gold'nen Krag'n,

machte se ne schiene Aang.

Doch ewos, dos war besonders in ihrem Lab'n:

Se hotte „Diabetes", wollt's ner net zugab'n.

Er ahnte nischt, er plante schie,

ne Rees, die sollt noch Spanien gieh.

Nooch'm Flug sollten se um zahne beim Bus sei,

der wollt se bringe ins Hotel nei.

Bis dahie nahme se 'n Fissmarsch in Kaaf,

wenn's a astrengend war, dos Gelaaf.

Su machten se a ne Pause,

se mussten erstemol verschnaufe.

Dor Karle merkt of emol ewos;

sei Dirndl, dos war ganz bloss!

Frogt se: „Is dir net wuhl?"

Se saat : „ ’s is ner wag'n dr Schul'.

Ich hob wuhl de letzte Prüfung verhau'n,

doch wos soll's, mit dir ka ich noch vorne schau'n!"

In Warklichkeed wollt' se ne net de Rees versau'n un dot sich a net trau'n,

von dr Krankheed ze erzähl'n,

lieber dot se sich schweigend quäl'n.

Doch noch ner vollen Stund,

kdm't, dos se's gar net mehr ausha1l'n kunnt.

Se hot sich ja schu oft gespritzt,

wisst glei, wu sonst de Spritz sitzt.

Griff hamlich in de Tasch- uh Sohrack, se war net do-

se war drhemm, dos war ganz klar!

Do fing dos Mädl ze zittern a schu.

„Is alles in Ordnung, mei Sohatzl, du?"

„Ja", saat se, „'s is ner de Vorfreed,

dos war fei n er de holbe Wahrheed,

doch zim Umkehr'n war's schie ze spät.

Wag'n ihr nen Bus ze verpassen,

dos wollt se net of sich sitzen lossen.

Zu kame se rechtzeitsch a-

's hätt' könn' alles sei gut.

Doch do kam noch ewos rah:

am Ziel brach se zamm- un war dut!

 

Ja, 's is manchimol schwer ze glaub'n,

doch a Nutliegn könn' kusten enem 's Laab'n!


 



Share by: